Fritz Schumacher – Zitate

Chrono Research Lab – Historische Perspektiven aus Hamburg

Verachtet mir das Wünschen nicht!
Es ist eine ganz gewaltige Kraft im Leben.
–F.S.

Vom Schaffen /1923

Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur Oktober/39/1923, S. 232-236

In der Kunst gibt es keine Nächstenliebe.
Schaffe für dich, dann schaffst du für andere.

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Wenn die Malerei sich müht, das Wesen des Lichtes zu fassen, so ist das das gleiche, wie wenn die Philosophie sich müht, das Wesen Gottes zu fassen: das Problem des Ursprungs der Dinge, einmal in seiner sinnlichen, einmal in seiner geistigen Form. Auch wenn die Kunst dies Problem eine Zeitlang verläßt, sie wird immer dazu zurückkehren.

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Wer durch die Kunst der Wirklichkeit entrinnen will,
ist wie ein Mann, der den Wein mißbraucht, um sich zu berauschen.

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Die Kunst gebraucht erst richtig,
wer sie zu einem Stück seiner Wirklichkeit macht.

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Wer die schmerzlichsten Enttäuschungen vermeiden will,
muß nach dem streben, was er nicht erreichen kann.

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Ein Werk reiner Kunst übt unter den Eindrücken des Daseins eine ähnliche Wirkung aus wie die Erscheinung eines Kindes: wir empfinden die reinigende Kraft eines Stückes lauteren, unverbildeten Lebens.
Was Christus über die Macht des Kindes gesagt hat, gibt uns einen Anhaltspunkt für dasKapitel, das bei ihm fehlt: das Kapitel Kunst.

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Oh, „blaue Stunde“ einer werdenden Kunstepoche, Zeit zwischen Dämmerung und hellemTag!
Du bist die Zeit reichster, geheimnisvollster Stimmung. Wohl dem, der dich miterlebt und nicht verschläft.

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Ein genialer Irrtum ist oft fruchtbarer als eine Wahrheit, die jeder verstehen kann.

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Wehe dem, der auf Zukunft spekuliert beim Spenden seiner Kraft! Spende sie für die Gegenwart ; sie wird das Nötige von selber für die Zukunft aufsparen.

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Der Drang nach Revolution und das Streben zum Typus, diese scheinbar entgegengesetzten Kräfte, sind das „perpetuum mobile“ der Kunst.
Beide sind gleich unentbehrlich. Sie sind in Wahrheit nicht entgegengesetzt, sondern die gleiche Kraft in zwei verschiedenen Stadien der Entwicklung einer künstlerischen Welle.

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Trägheit ist nicht immer gleich Faulheit; es gibt eine fruchtbare Trägheit, die Trägheit des Reifens; sie darf mit der verhängnisvollen Trägheit des Säens und der Trägheit des Erntens nicht verwechselt werden.

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Als ich jung war, glaubte ich, nichts sei leichter, als den Strahl der Seele von Mensch zu Mensch zu leiten. Jetzt weiß ich, daß nichts verschlossener ist als das Reich der Seele. Nur durch die Reflexe eines Spiegels vermögen wir ihre Strahlen in fremde Augen zu lenken.
Solch Spiegel ist die Kunst.

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Zahllose Mißverständnisse auf dem Boden populärer Geschmacksurteile liegen darin, daß die Phraseologie unserer Alltags-Ästhetik die Begriffe, die zwischen schön und häßlich liegen, nicht herausgebildet hat. Die meisten Menschen meinen, daß man alles, was man nicht häßlich findet, schön finden muß.

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Der weise Mann, welcher den Spruch aufstellte: „Über Geschmack läßt sich nicht streiten“, war ein Egoist. Er wollte sich die törichten Stunden ersparen, die man vergeudet, wenn man mit Schwerhörigen über Musik rechten muß.
Aber aller Egoismus rächt sich. Hinter dem Schutzwall dieses Spruches diktieren nunmehr die Schwerhörigen im Reiche der bildenden Kunst ungestört ihre Musikansichten der ganzen Welt.

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Wie kommt es, daß der Mensch nur für das Wesen der Farbwirkungen keine eigenen, diesem großen Reich unserer Eindrücke eigentümlich entwachsenen Wortbegriffe geprägt hat. „Warm“, „leuchtend“, „stumpf“, „gebrochen“, „schwer“, „heiter“, „hell“, „laut“, — alle diese Bezeichnungen sind nichts als rohe Vergleiche mit anderen Sinnesempfindungen. Es zeigt, daß hier ein Reich ist, dessen Wesen wir erst zu ahnen beginnen.

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Wer kennt nicht vielbeachtete Menschen, deren ganze geistige Betätigung in nichts anderem besteht als in Überschriften. Diese Überschriften werfen sie mit großer Geste in die Debatte des Lebens. Der eigentliche Text interessiert sie nicht mehr.

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Es gibt Dinge, die aufhören zu existieren, wenn sie sich beweisen lassen.

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Was im technischen Sinne „moralisch“ ist, kann reizlos, gleichgültig, herausfordernd, aber nicht häßlich sein. Es gibt keine Häßlichkeit, die nicht im technischen Sinne zugleich moralisch wäre.
Daraus geht nicht hervor, daß. nun alles Technisch-Moralische zugleich schön wäre, Zwischen schön und häßlich liegen neutrale Zwischenwerte.

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Die Kraft des Überdrusses ist eine größere schöpferische Gewalt des Daseins als die Kraft des Wohlgefallens.
Die erste treibt zum Verändern, die zweite nur zum Erhalten.

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Die großen Kunstwerke sind die einzigen Festungen, die von der Zeit nicht gestürmt werden. Wo sich eine geistige Macht in ihnen festsetzt, ist sie unüberwindlich.
Das zeigt die katholische Kirche.

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Das Schattenreich der Griechen, in dem die Abgeschiedenen weiterleben müssen als blutlose Schemen, sieht man schaudernd verwirklicht, wenn man um sich schaut in der Kunst seiner Zeit. Die Alten dachten es sich schlimmer als das Nichtmehrsein.
Wie fein sie empfanden!

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Vor hundert Jahren sagte man: Wenn ein Raffael ohne Arme geboren wäre, würde er doch der große Künstler sein.
Heute sagt mancher: Wenn ein Raffael ohne Augen geboren wäre, könnte er doch ein großer Künstler sein.
Wenn man die unwirklichen Vorstellungsbilder heutiger Künstler sieht, wird einem klar, wie wenig man von der unfixierten Kunst derer weiß, die nur im Geiste schauen können.

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Nur wer trunken sein kann vom Wein des eigenen Blutes, darf Künstler werden.

Fluidum /Januar 1925

Kunstwart und Kulturwart 38,1.1924-1925 S.183

Es scheint mir eine der tröstlichsten Vorstellungen zu sein, daß es eine Gemeinschaft unbekannter Gleichgesinnter gibt, die, wenn sie sich auch niemals kennen lernen, ein unsichtbares Fluidum verbindet.

Wenn man in schweren Zeiten auf einstige Schicksalswende hofft, dann muß man rechnen mit dem Kraftstrom dieser Gemeinschaft im Geiste. Aus unvermerkt gelenkten Atomen bauen sich an tausend Stellen die Gefäße zur Aufnahme einer erlösenden Idee oder einer wirkenden Kraft zusammen. Ein unsichtbares Leitungsnetz verbindet sie, und schließlich bedarf es nur eines fruchtbaren Funkens, um in diesem ganzen, langsam erwachsenen System das Aufleuchten zu entfachen.

Man darf nie glauben, daß ein starkes Gefühl, ein mutiger Gedanke, ein glühendes Wort nutzlos sei, weil im Augenblick die Wirkung scheinbar verhallt. Man muß immer glauben, daß man mitwirkt an diesem Netz einer unbekannten Gemeinschaft, die schließlich stärker ist, als alle Gemeinschaft äußerer Macht.

Zur Festigung dieser heimlichen Macht kann kaum ein anderer Einzelner so viel beitragen, wie ein ideal gesinnter Verleger.

–Fritz Schumacher

Die Sprache der Linien

Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort 35.1924, Heft 4 S.116

Eine »formbildende« Begabung ist die Voraussetzung für die freie Kunst, eine »rhythmische« Begabung ist der Kern der Voraussetzung für den architektonischen Künstler. Nur wenn das Gefühl für rhythmische Werte in ihm wohnt, kann er in der Architektur ein Künstler werden.
Das »Zeichnerische« ist in der Architektur nur ein Zwischenzustand, es ist nicht Selbstzweck. Bei dem Bauen soll ein geistig geschauter Organismus in reale Massen umgesetzt werden. Derjenige, der ihn geistig geschaut hat, muß seinen Willen auf andere übertragen, das kann er nur durch die Zeichnung erreichen. Das architektonische Zeichnen ist also schließlich nichts anderes als eine systematisch ausgebildete »Sprache«, um all den verschiedenen ausführenden Kräften unausgesetzt Befehle zu geben. Vom kleinen Maßstab ausgehend wird schließlich die naturgroße Einzelheit erreicht, und so wird ein System von Zeichnungen gebildet, das wie eine Präzisionsmaschine die hundertfältige Arbeit am Bau so lenkt, daß hier automatisch genau das entsteht, was im Geiste vorgeschaut wurde.
Diese Sprache der technischen Zeichnung ist das, was der Architekt hauptsächlich zu lernen hat.
prof. fritz Schumacher.

Kölner Hochhaus Carneval /1926

Wasmuths Monatshefte für Baukunst und Städtebau 10.1926, H. 3 = S.81-128

[…]
S.91 Zuerst erschien auf turmhohem Wagen ein hochaufrechter Mann in schwarzem Gehrock, der starren Blickes mit dem Fernrohr gen Himmel schaute. Die Masken begrüßten ihn begeistert: „Hoch lebe unser Adenauer! Er sucht die Spitze seines neuen Hochhauses in den Wolken.“ Adenauer dankte mit dem Zylinderhut und sagte zu einer unter ihm stehenden Maske, die Schumacher genannt wurde: „Wo ist mein Hochhaus am Rhein? New York hat schon 2222, Düsseldorf hat schon zwei Hochhäuser, Köln hat erst eins! (Vgl. oben, S. 87) Schnell an die Arbeit!!“
Schumacher verhielt sich ablehnend: „Der Hochhausgedanke ist in unserer Zeit stark emporgeschossen. Man muß sich vor den literarisch beeinflußten Übertreibungen hüten, die sich an solche Ideen todbringend zu heften pflegen.“ Als der Oberbürgermeister mit hypnotischem Blick drängte, zog sich Schumacher mit einer Verbeugung zurück und erschien unverzüglich mit dem zweiten Wagen, auf dem das Modell seines Hochhausentwurfes (Abb. 5 und 7) stand. Von der obersten Plattform dieses Modells herunter erklärte Schumacher die geradezu unüberwindlichen Schwierigkeiten, die auf dem alten langen „Heumarkt“ (Abb. 2—4) entstanden sind, seitdem die Anfahrt zur großen neuen Hängebrücke diesen Markt plötzlich in der Mitte zerschnitten hat.
[…]

S.92 Als das Geschrei gegen das Hochhaus immer lauter wurde, erklärte Schumacher besänftigend, man könne ja auch ein Hochhaus bauen, das keinen Verkehr bringe. Der Oberbürgermeister ließ darum durch Polizisten nach einem Mann suchen, der verkehrslose Hochhäuser bauen kann und fand den im Saale anwesenden Warenhausbesitzer Tietz, der sich verpflichten mußte, an der gefährlichen Kreuzungsstelle kein neues Warenhaus mit 1500 Angestellten und 30000 Besuchern, sondern ein Verwaltungsgebäude oder ein noch weniger besichtigtes Musterlager in Form eines Hochhauses zu errichten, das nur 250 Benutzer täglich herbeizieht.

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