Hyper-Chronoskop. Betrachtungen zu Zeit und Design

Beitrag zur HyperKult XXV (2015) von Matthias Müller-Prove

Ohne Zeit wäre alles statisch. Ohne Iteration bliebe alles, wie es ist. Erst durch Wiederholung können Dinge im zeitlichen Verlauf verstanden, eingeübt und verbessert werden. Iterative Vorgehensmodelle sind daher in der Software-Entwicklung an der Tagesordnung. Aber auch jenseits der Stunden, Tage und Wochen, die es braucht ein Produkt oder Service zu gestalten, gibt es Feedback-Schleifen oder technologische Entwicklungswellen, die bei Betrachtung durch das Hyper-Chronoskop erstaunliche Gemeinsamkeiten aufweisen.

Mit der virtuellen Stoppuhr werden zeitliche Aspekte des Micro Interaction Design vermessen und Eigenschaften eines persönlichen Mediums für dynamisch kreatives Arbeiten untersucht. Neben einem „zu langsam“ gibt es auch ein „zu schnell“ in der Wechselwirkung zwischen Mensch und dem digitalem Medium. Ein Product Life Cycle erstreckt sich oft über Monate; bei komplexeren Entwicklungen sogar über Jahre. Dabei ist es wichtig, dass man durch iteratives Prototyping die Erfolgschancen am Markt ständig justiert. Eine Firma, die es verlernt innovativ zu sein, wird es sehr schwer haben sich am Markt zu behaupten, insbesondere wenn der technische Fortschritt ganze Berufsfelder neu ordnet. So hat zum Beispiel die Desktop Publishing Revolution in den 1980er Jahren zunächst nur die Herstellung von Druckerzeugnissen betroffen – heute rätseln dagegen alle Zeitungsverlage, wie sie bei praktisch frei verfügbarem Informationsüberangebot auf Smartphones die Arbeit der Redaktionen noch finanzieren können.

Wenn ganze Industriezweige verschwinden, soll durch Förderung einer Startup-Kultur die Wirtschaft gerettet werden?! Globalisierung, Emerging Markets, eine Weltbevölkerung von 7,2 Mrd. Menschen – Tendenz steigend auf mindestens 10 Mrd. bis Ende des Jahrhunderts.

Danny Hillis entwickelt mit Unterstützung der Long Now Foundation zusammen mit Stewart Brand und Brian Eno eine Uhr, die auch in 10.000 Jahren noch die genaue Zeit anzeigen soll. Die Relevanz der „10,000 Year Clock“ für das Jetzt besteht darin, dass der zeitliche Perspektivwechsel uns die Gegenwart anders und damit vielleicht auch genauer erkennen lässt.

Abb.1) Objektträger des Hyper-Chronoskopes (zoom)

Bei unterschiedlicher Granularität der Zeitskalen findet sich oft ein gewisses Pulsieren. Da die betrachteten Phänomene zu unterschiedlich sind, soll hier keine fraktale Selbstähnlichkeit postuliert werden. Dennoch kann aber das Wissen um die Vergangenheit zu aktuell relevanten Einsichten führen, selbst wenn man dabei die jeweiligen Zeitdimensionen überschreitet.

Ein populäres Zitat, das nicht von Mark Twain stammt:

„History does not repeat itself – but sometimes it rhymes.“

Video

Hyper-Chronoskop. Betrachtungen zu Zeit und Design from mprove on Vimeo.

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à propos

Matthias Müller-Prove – Dipl. Inform. der Universität Hamburg – ist unabhängiger Interaction Designer. Für Oracle, Sun Microsytems, Adobe Systems, GoLive Systems und P.Ink Software Engineering hat er die Product Life Cycles von 19 Software-Vollversionen und zahlreichen Updates durchlebt. Matthias Müller-Prove wurde geehrt mit dem Wolfgang-von-Kempelen-Preis für Informatik-Geschichte; er ist Senior Member of the ACM und initiierte das Raum Schiff Erde, ein Kongress für digitale Philosophie, Interaktionsdesign, und Netzkultur. www.mprove.de