Interaction Design trifft Bauhaus

In Digital Design @bauhaus, Bitkom Sammelband 9/2019

Kapitel 7 in Digital Design @Bauhaus, Sammelband, bitkom 2019 /PDF

Zur Betrachtung des Digitalen als Material

Materialkunde ist für den Künstler und Industriedesigner (bzw. Hardware-Designer) notwendige Voraussetzung, um das beste Material für sein Produkt zu wählen. Dabei sind die unmittelbar offensichtlichen Eigenschaften – Haptik, Gewicht, Anmutung – genau so zu bewerten, wie die verdeckten Dimensionen, wie Nachhaltigkeit, Kosten bei der Verarbeitung, etc. Alles trägt zur User Experience des Nutzers bei.

Materie besteht aus Atomen.
Material ist Physik, ist Biologie und Chemie. Material sind verschiedene Stoffe, die entweder in der Natur vorkommen (z.B. Holz) oder die im Labor gezüchtet werden (wie z.B. Kunststoffe). Material bewegt sich in einem Materialkreislauf; Stichwort Produktion, Logistik und Nachhaltigkeit.

Digital ist zunächst einmal ein Modewort, dessen Bedeutung kaum festzumachen ist. Begreift man es als Bits und Bytes, so entspäche dem Material des Industrie-Designers hier der Code und die Algorithmen auf den verschiedensten Plattformen und in den unterschiedlichsten Programmiersprachen und Frameworks.

Digital Design im Sinne von User Interface- / Interaction- / Service-Design betrachtet zusätzlich all diese Coding-Frameworks als Mittel zum Zweck der Gestaltung von interaktiven Anwendun- gen. Hinzu kommen die Grundlagen der Gestaltung (Kognition, Gestaltgesetze, Farben, Typographie, Layout, User Interface Prinzipien) und die Kenntnis der dominierenden Paradigmen der jeweiligen Plattform, für die man arbeitet (Desktop-GUI, Mobile, Touch, Voice, VR, etc.).

Materialkunde ist sicherlich nur ein kleiner Teil der Ausbildung. Wichtig ist das Zusammenspiel und die Einsatzmöglichkeiten der Materialien, dem man sich am besten mit Experimenten nähert.

Besonders bemerkenswert beim Vorkurs des Bauhauses, der von Johannes Itten konzipiert und geleitet wurde, ist die Intensität und Experimentierfreude der Studenten mit dem Material und der Welt. Es wurde eine Philosophie gelehrt, indem die Studenten miteinander und mit den »Meistern« diskutierten, arbeiteten, lebten und feierten. Diese prägende Studienzeit war grundlegend für das weitere Studium und für den späteren beruflichen Weg. Im Kurssystem der heutigen Hochschulen ist so eine Internat- oder Bootcamp-Situation leider kaum noch vorstellbar.

Elemente einer zeitgemäßen Ausbildung in den Design-Studiengängen

Die gegenwärtige Situation ist gelinde gesagt unübersichtlich.

Der Autor wirkt selbst als freier Dozent in den Studiengängen Kommunikationsdesign, Digital Design, Brand Desing, Raum Design und Designmamagement an verschiedenen privaten Hochschulen. Da wundert es wenig, dass auch die Job-Titel in der Industrie und Agentur-Szene für die Gestalter sehr inkompatibel gestaltet sind. Eine kleine Auswahl: Concepter, UX Designer, Product Designer, Information Architect, Service Designer, Motion Designer, Innovation Manager. – Es soll hier nicht gegen eine Spezialisierung argumentiert werden, aber auch in den Grundlagen, die vielleicht dem Vorkurs am Bauhaus entsprächen, gibt es kaum Gemeinsamkeiten in den Curricula.

Materialkunde für Digital Design wäre das grundlegende kleine Ein-mal-Eins, um den zukünfti- gen xDesignern nahe zu bringen, welche Freiheitsgrade und Gestaltungsmöglichkeiten sie haben. Es sollte mittels experimentellen Projekten, iterativen Prototypen und Design Critique die Kreativität und Fertigkeit der Studierenden gefördert werden. Das Ziel der User Experience Designer ist die positive Erfahrungs- und Gefühlswelt der Nutzer. Diese gilt es mit den technischen Möglichkeiten und den Geschäftszielen in Einklang zu bringen. User Experience kann nicht direkt gestaltet werden, sondern man gestaltet die Artefakte und Abläufe für eine eine bestimmte Aufgabenstellung in einem bestimmten Nutzungskontext.

Ausgehend von der Frage nach Wissenssorten im digitalen Design haben Jochen Denzinger, Prof. Dr. Michael Burmester und der Autor beim Workshop in Dessau ein paar grundlegende Elemente einer zeitgemäßen Ausbildung zusammen getragen, die sich am Bauhaus-Vorkurs ein Beispiel nimmt. (vgl. Abbildung 13 in diesem Sammelband und die Fotoserie unter http://photo.mprove.net/gallery/19/dessau-bitkom.html)


Dikussionsposter
von Joachim Denzinger, Michael Burmester und Matthias MProve

Im Zentrum der Überlegung stehen die sich abwechselnden Phasen der divergenten Ideenfindung und der konvergenten Auslese der überzeugensten Prototypen. Als »Doppelraute« ist dieses Modell bekannt und im Design Thinking idealisiert worden. Für die wiederkehrende konvergente Phase gilt es mehrere Wertesysteme zu lehren und praktisch zu erproben. Diese reichen von Usability bis hin zu Business-Zielen und ethischen Überlegungen. Die First-Person-Perspektive der Bauhäusler muss zu einer Second- oder Third-Person-Perspektive erweitert werden, da der xDesigner letztlich stellvertretend für den Anwender im Designprozess agiert.

Das Wissen um die Geschichte des Interaktionsdesigns sollte der Ausbildung zusätzlich ein solides Fundament geben.

Weiterlesen

M.Müller-Prove (2016): Was ist eigentlich UX Design? In PAGE Connect Booklet 4, 9/2016

M.Müller-Prove (2019): Form Follows Function – Interaction Design trifft #bauhaus100. UX Roundtable Hamburg 6/2019

Bitkom (2019): Mit Digitalen Bauhäusern die Digitalisierung gestalten

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